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Powerstoff Sauerstoff




Einmal O2 bitte: Wasser, Cremes und coole Bars bieten jetzt eine extra Dosis Sauerstoff. Die Frage ist nur: Brauchen wir wirklich mehr als die Luft zum Atmen?

Zukünftig werden wir in Bars weniger rauchen und trinken und dafür mehr Sauerstoff konsumieren. Absurd? Nein, gesund!     Foto: dpa

Von Sandra Winkler

Wenn Stars im Zelt liegen, dann bedeutet dies nicht unbedingt, dass sie campen. Um anstrengende Konzert-Tourneen zu überstehen ruhen sich Michael Jackson und Meat Loaf gern mal im Sauerstoffzelt aus. Denn O2 ist Energielieferant Nummer eins und daher als Allheilmittel und Fitmacher sehr begehrt. Obwohl eigentlich genug Sauerstoff in der Luft steckt, kann man ihn zusätzlich unter die Haut sprühen, trinken, hoch konzentriert einatmen oder sich damit einseifen. Mit mehr oder minderem Erfolg.

Stark im Kommen sind Mineralwasser mit einer Extraportion Sauerstoff. In ihnen steckt im Schnitt 15- bis 25-mal mehr O2 als in normalem Trinkwasser. Das entspricht ungefähr fünf Atemzügen. Die Firma Adelholzer Alpenquellen brachte nun das erste Sauerstoffwasser bundesweit auf den Markt. "ActiveO2" unterscheidet sich von den Konkurrenten "Oxivit", "Oxygizer" und Sinalcos "Mineralco2" vor allem durch seinen betont lifestyligen und wenig medizinischen Auftritt: Ein schick designtes Etikett auf der PET-Flasche, ein Sportlerverschluss und Oliver Kahn als Werbeträger. "Zusätzlicher Sauerstoff macht mich fit und ich habe auch das Gefühl, meine Reaktionen sind schneller geworden", lobt der Bayern-München-Torwart seinen neuen Energiedrink.

Damit wir uns nicht nur auf das Gefühl von Olli Kahn verlassen müssen, wird in diesem Frühjahr publizistische Überzeugungsarbeit geleistet: So erscheinen zum einen die ersten Ratgeberbücher "Fit und Vital durch Sauerstoff" von Klaus-Dieter Neander und "Powerdrink Sauerstoff" von Journalistin Birgit Kaltenthaler. Zum anderen bringt das Institut für medizinische Physiologie der Uni Wien unter der Leitung von Professor Wolfgang Marktl eine Studie heraus. Ihr Ergebnis: Durch das Trinken von Sauerstoffwasser kann mit weniger Anstrengung die gleiche Leistung erzielt werden, und der Körper regeneriert sich schneller.

"Magen und Darm sind neben Lungen- und Hautatmung neue, noch nicht ausgenutzte Wege, dem Körper Sauerstoff zuzufügen", erklärt das Resultat Klaus-Dieter Neander vom Deutschen Institut für Pflegemittelforschung und Beratung in Göttingen. Interessant ist die Studie vor allem für Leistungssportler. Aber was hat der durchschnittliche Bürositzer davon? "Natürlich bringt das Wasser nur jemandem etwas, der unter akutem oder chronischem Sauerstoffmangel leidet", so Neander. Die Symptome eines O2-Mangels kennt jeder: Müdigkeit, Kopfschmerzen, Konzentrationsschwäche in Folge von "schlechter Luft". Das Göttinger Institut testete daher auch an Sekretärinnen. Im allseits bekannten Mittagstief bekamen die Frauen verschiedene Aufgaben gestellt, die sie dank der Trinkkur mit Sauerstoffwasser besser und leichter bewältigten.

Während sich die Sekretärinnen ihren Schwächeanfall am Computer wegtrinken, nehmen gestresste Manager eine frische Brise an der Sauerstoffbar. Was bis vor ein paar Jahren nur Patienten auf der Intensivstation vergönnt war, hat es von Asien über Amerika auch nach Deutschland geschafft. Eine halbe Stunde 94-prozentigen Sauerstoff durch die Atemmaske kosten im "Oxy-Flow" in Frankfurt und in der "Oxygenia Sauerstoff Oase" in Köln zwischen 14 und 35 Euro. Im Möbelgeschäft "Leolux" im Berliner Stilwerk fungiert das Angebot als Werbeaktion und ist kostenlos. Die hochprozentige Schnüffelei soll für vieles gut sein: Angefangen von besserem Sex bis hin zu gesünderem Zahnfleisch wurde schon alles kolportiert. "Wenn du mal einen ordentlichen Kater hast, kannst du dich bei uns erholen", verspricht zum Beispiel Schauspieler Woody Harrelson, der in West Hollywood die wohl bekannteste O2-Bar besitzt.

Dass gestresste Besucher sich in den Bars entspannen können, ist keine Frage: Gemütlich im Massagesessel sitzend, werden sie mit Orangensaft, ätherischen Ölen und Meeresrauschen umsorgt. Aber, dass der hochprozentige Sauerstoff etwas bewirkt, daran zweifeln viele Mediziner. Der Organismus sei mit den 21 Prozent O2 in der Luft eigentlich bestens bedient. "Es hat wirklich wenig Sinn, reinen Sauerstoff einzuatmen, denn mehr als der Farbstoff in den roten Blutkörperchen binden kann, wird nicht aufgenommen. Den Rest atmet man ungenutzt wieder aus. Nur wenn der Kreislauf so schwach ist, dass das Blut zu wenig O2 aufnimmt, bekommen Patienten reinen Sauerstoff", so Arzt und Wissenschaftsjournalist Aart C. Gishof.

Die Zweifel aus dem Medizinerlehrbuch können Andreas Sczeponik nicht verunsichern. "Wer heilt hat Recht", meint der Geschäftsführer der "Oxygenia Sauerstoff Oase". "Mediziner sind für Krankheiten zuständig und wir für die Gesundheit." Sczeponik schwört, dass seine 30 Kunden im Monat völlig erfrischt die Bar verlassen. Einige nehmen sogar noch eine Dose "O2-Pur" für zu Hause mit. "Wer meint, dass es ihm hilft, der soll sich nicht aufhalten lassen. Autosuggestion ist eine gute Fähigkeit des Menschen", so Neander.

"Mit Sauerstoff verbinden die Kunden automatisch Frische, Fitness, Jugend", weiß auch Stefan Reichersdorfer von der Marke Axe. Ihr neues Duschgel "re-load" verspricht zwar den "Recharge-Effekt" dank der im Gel schwimmenden Sauerstoffperlen, doch diese sind laut Reichersdorfer in keinster Weise spürbar. Trotzdem wollen Testpersonen ein frischeres Gefühl nach dem Duschen mit "re-load" gehabt haben. Reichersdorfer ist selbst überrascht, aber: "Die Wahrnehmung der Kunden ist unsere Realität."

Sauerstoff ist das Zauberwort für junge, aber auch für verjüngende Produkte. Mit zunehmendem Alter, durch Luftverschmutzung, Rauchen und Stress verlangsamt sich die Zellatmung der Haut. Sie sieht müde aus und bekommt Fältchen. Sauerstoff aus dem Creme-Döschen soll den Teint wieder frisch machen. Damit sich die Gasmoleküle beim Öffnen des Deckels nicht in Luft auflösen, sind sie in kleine liposomenähnliche Transportkapseln eingeschlossen wie zum Beispiel bei der Creme "Anew Pure O2" von Avon oder "Re-Oxygen" von Lancaster. In der Pflegeserie "Océa Anti-Age" von Daniel Jouvance bindet eine Mikroalge den Sauerstoff und bringt ihn in die Zellen. "Oxygen Formula" von Biodroga oder "Ayerogen Complexe Hydro Performant" von Ayer aktiviert den O2-Umsatz in der Haut. Und auch die Herren sollen nicht mit fahlem Gesicht herumlaufen: Die Pflegeemulsion "Cool O2 Face Shield" von Davidoff Cool Water transportiert Sauerstoff in männliche Haut.

Intensiver als Cremes sind Behandlungen: Während einer Sauerstoffdusche fährt die Kosmetikerin mit der Düse über die Haut und zeichnet die Fältchen nach. Eine Stunde kostet ungefähr 80 Euro. Bei einer Sauerstoff-Impuls-Behandlung wird konzentrierter, flüssiger Sauerstoff mittels einer Sprühpistole und eines bioelektrischen Niedrigvolt-Mikrostromgerätes punktgenau auf und unter die Haut gebracht. Die Kosten liegen zwischen 90 und 150 Euro.

Wer nicht nur das Aussehen seines Kopfes fit halten möchte, für den gibt es eine besonders günstige Lösung. Laut Untersuchungen des Intelligenzforschers Siegfried Lehr versorgt ständiges Kauen das Gehirn besser mit Sauerstoff. Seine Empfehlung also: Kaugummi für mehr Energie in den Hirnzellen.




Auszug aus: Welt am Sonntag, 3. März 2002

Sandra Winkler




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